Veranstaltung der Q3 zum Sexualstrafrecht mit zwei Staatsanwältinnen

Spannende und lehrreiche Veranstaltung für die Ethik- und Religionskurse der Q3 zum Sexualstrafrecht mit zwei Staatsanwältinnen: Was bedeutet „Nein heißt nein“ und welche Vergewaltigungsmythen gibt es?

Oberstaatsanwältin Yvonne Vockert und Staatsanwältin Jessica Schröder gestalteten die Veranstaltung zum deutschen Sexualstrafrecht von Beginn an als Gedankenaustausch.

Den Einstieg bildete die Frage nach Vergewaltigungsmythen. Diesen Mythen, wie „die Frauen müssen deutlicher nein sagen“, „sie sind ja selber Schuld, wenn sie kurze Röcke tragen“, konnten die Staatsanwältinnen mit Fakten begegnen: Die meisten Vergewaltigungen begehen ehemalige Ehemänner und Partner. Auf Platz zwei stehen Übergriffe im Freundeskreis und der häufigste Tatort sei die eigene Wohnung.

20230202 120523Erst 1994 wurde die Strafbarkeit homosexueller Handlungen abgeschafft und seit 1997 ist Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland strafbar, allerdings sei sie schwer zu beweisen. Hier stehe Aussage gegen Aussage. 

Seit 2016 gilt das Paradigma „Nein heißt nein“, während in dreizehn anderen europäischen Ländern, z.B. Großbritannien und Spanien „ja heißt ja“ die Vorgabe ist.

Im Weiteren wurden neuere Straftatbestände wie Upskirting (Blick oder Bildaufnahme unter den Rock), Cyber-Grooming (Manipulation Jugendlicher über das Internet mit dem Ziel sexueller Übergriffe) Catcalling (sexuell anzügliches Hinterherrufen und Pfeifen) und Stealthing (heimliche Entfernung des Kondoms beim Geschlechtsverkehr) mit den SchülerInnen diskutiert.

Wo geschehen sexuelle Übergriffe?

Diese bereits eingangs angeschnittene Frage wurde weiter vertieft und neben der eigenen Wohnung Bereiche wie Arbeitsplatz, Sportvereine, Gemeinden/Kirche, Clubs, der Heimweg und die Schule genannt.

Thema Schule: Was kann passieren?

Die beiden Staatsanwältinnen berichteten von Beispielen aus ihrer beruflichen Tätigkeit. 

Es gebe nicht nur Übergriffe von Lehrern an Schülerinnen sondern auch unter Schülern, wie zum Beispiel das ungewollte Versenden von Bildern und Videos in Whats-App-Gruppen.

Ferner käme es zu ungewollten Körperkontakten im Sportunterricht und auch Lehrerinnen könnten Opfer von Übergriffen sein.

In der Schule gebe es auch sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen. So bestehe zwischen Lehrern und Schülerinnen ein besonderes Vertrauensverhältnis. Die Referentinnen berichteten von „zwielichtigen Einzelgesprächen“, dem „Deckmantel der Liebesbeziehung“ und dem Druckmittel bessere Noten zu geben im Kontext von Paragraph 177 Strafgesetzbuch.

Sie wiesen darauf hin, dass zwischen Lehrern und Schülerinnen eine angemessene Distanz bestehen müsse und auch schon eine Berührung oder „krasse Witze“ eine sexuelle Belästigung darstellen könnten.

Die Problematik des Fehlens objektiver Beweismittel

Im Weiteren tauschten sich die beiden Referentinnen mit den Schüler*innen über die Beweisbarkeit von sexuellen Übergriffen bis hin zur Vergewaltigung aus. Es gelte auch hier der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“, was aber nicht bedeute, dass die Tat nicht stattgefunden habe. Manchmal mache ein Opfer in einem Teilbereich eine ungenaue oder falsche Aussage, was die Verteidigung dazu nutzen könne die Glaubwürdigkeit des Opfers in Frage zu stellen. Hingegen dürften Täter die Unwahrheit sagen oder schweigen.

Oft fehlten objektive Beweismittel, umso hilfreicher sei es, dass man bei einer gynäkologischen Untersuchung Spuren sichere. In der Realität schwiegen Frauen aber oft aus Scham, und könnten sich oft erst viel später dazu durchringen Anzeige zu erstatten.

In fast allen größeren Städten gebe es inzwischen einen medizinischen Sofortdienst (in Gießen im Uniklinikum, Kosten werden von der Krankenkasse übernommen)   Hier würdenSpuren gesichert und anonymisiert aufbewahrtso dass die Betroffenen ein Jahr Zeit hätten zu überlegen, ob die Spuren verwendet werden sollen. 

Erstatte man jedoch Anzeige bei der Polizei, so müsse diese ermitteln. Ein solche Anzeige könne nicht zurückgezogen werden und nur 5-10% der Übergriffe würden überhaupt angezeigt, wohingegen jede 7. Frau sexuelle Gewalt erfahre.

Das Strafmaß für sexuelle Nötigung beginne bei sechs Monaten und für Vergewaltigung bei zwei Jahren. Kompliziert seien die Verjährungsfristen. Bei Vergewaltigung gelte Volljährigkeit plus 20 Jahre.

Auf Nachfrage eines Schülers, wie oft angebliche Opfer bewusst falsche Aussagen machten. erfuhren die Schüler, dass diese sehr selten seien und in ihrer dreieinhalbjährigen Berufstätigkeit als Staatsanwältin habe Schröder maximal zehn solcher Fälle gehabt.

Jedes Opfer von Sexualstraftaten hat das Recht auf kostenlosen anwaltlichen Beistand

Am Ende des intensiven Gedankenaustauschs wiesen die Referentinnen darauf hin, dass die Regelungen zum Opferschutz nicht hinreichend bekannt seien. So habe jedes Opfer Anspruch auf eine kostenlose Verteidigung, unabhängig davon, ob der Prozess gewonnen oder das Verfahren überhaupt eröffnet werde. Je früher man einen Rechtsanwalt habe, desto besser.  Der Rechtsanwalt stelle die erforderlichen Anträge und rechne auch direkt mit dem Gericht ab. Ferner gebe es den Anspruch auf eine psychosoziale Prozessbegleitung durch den „Weißen Ring“, die kaum in Anspruch genommen werde.