Deutsch wollte sie „nie mehr sprechen“

HOLOCAUST Auschwitz-Überlebende Éva Fahidi (89) schildert LLG-Schülern ihre Erlebnisse / Nebenklägerin in Gröning-Prozess

GIESSEN - (sza). Es rattert, es ist laut, es herrscht eine unbarmherzige Hitze. Seit drei Tagen sind sie unterwegs, 80 Menschen, eingepfercht auf allerengstem Raum. Essen und Trinken sind kaum vorhanden, eine Toilette gibt es nicht. Der Zug wird langsamer und kommt zum Stehen, von draußen wird die Waggontür aufgerissen. Ein gleißendes Licht, Hunde bellen, Männer schreien. Éva Fahidi wird klar, wo sie angekommen ist, in der Hölle des Konzentrationslagers Auschwitz/Birkenau. Gestern erzählte die 89-Jährige in der Aula des Landgraf-Ludwigs-Gymnasiums (LLG) ihre traurige und gleichzeitig spannende Geschichte.

E FahidiDer Tod in Europa trug Wehrmachtsstiefel. Wir hatten die Hoffnung, dass Ungarn eine Insel bleibt, unberührt von alledem“, sagt Fahidi. Doch ihr Wunsch blieb unerfüllt. Im ungarischen Debrecen geboren und aufgewachsen, erlebte die damals 18-Jährige, wie 1944 die Wehrmacht Ungarn besetzte. „Wir wussten, dass Schreckliches auf uns wartet“, berichtet die 89-jährige Ungarin. Im Ghetto teilte sich ihre Familie dann ein 40 Quadratmeter großes Zimmer mit zehn weiteren Menschen. Ihre Familie sei in eine Ziegelfabrik gebracht worden und schließlich in einen Zug nach Auschwitz. „Die Reise war entsetzlich, so viele Menschen starben bereits auf der Fahrt.“

Als die Familie nach drei Tagen im KZ ankam, wurden sie noch an Ort und Stelle voneinander separiert. „Wir haben gar nicht gemerkt, dass wir getrennt und in 5er-Gruppen sortiert wurden“, erzählt die Ungarin. Sie sei später am Kopf rasiert und all ihrer Kleidung beraubt worden. „Es war bizarr, wir waren splitternackt, gedemütigt, kahl geschoren, doch wir haben aus vollem Herzen gelacht“, beschreibt sie die beklemmende Szene. Ihre Mutter und ihre Schwester waren zu diesem Zeitpunkt bereits im Gas ermordet worden. So hätte sie die Aufseherin ihrer Baracke gefragt, wann ihre Familienangehörigen kämen. Als Antwort hätte diese nur auf einen Kamin gezeigt und gesagt, sie seien „nur noch Rauch“. „Ich konnte es nicht glauben, hatte Tag für Tag die Hoffnung, sie würden kommen“, berichtet Fahidi.

Um Auschwitz zu überleben, mussten wir jedoch so schnell wie möglich dort weg.“ Mitte August 1944 wurde sie schließlich zur Zwangsarbeit in das Buchenwald-Außenlager Münchmühle ins hessische Stadtallendorf gebracht, wo sie in einer Sprengstofffabrik arbeiten musste. „Sprengstoff, Granaten, Raketen, es war Sklavenarbeit“, erzählt die Überlebende. Im März 1945 gelang es ihr, während eines Todesmarsches zu fliehen.

Nie im Leben wollte ich nach Deutschland zurück oder auch nur ein Wort Deutsch sprechen“, sagt Fahidi. Sie wollte nicht mehr hassen, weil sie wisse, wie sehr der Hass die Seele verwüste. Es sei aber ein anderes Deutschland gewesen, das sie seitdem kennengelernt habe. „Es war schön, zu sehen, dass es eine Auseinandersetzung mit der Geschichte gab, das war etwas Neues“, erklärt die Ungarin.

Auch zum derzeitigen Auschwitz-Prozess gegen Oskar Gröning, in dem die 89-Jährige Nebenklägerin ist, äußerte sie sich. „Ich habe 70 Jahre darauf gewartet. Mir geht es nicht um die Strafe, schließlich ist er 93 Jahre alt. Ich will, dass er seine Schuld einsieht und ein Urteil bekommt.“ Den Schülern gab sie mit auf den Weg: „Ich wünsche es Euch, dass Ihr eine bessere Welt schafft, als es unserer Generation gelungen ist.“ Foto: Szabowski

http://www.giessener-anzeiger.de/lokales/stadt-giessen/nachrichten-giessen/deutsch-wollte-sie-nie-mehr-sprechen_15658331.htm, 20.06.2015

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