Seba Habibyar ist das beste Beispiel gegen die von »woken« Kreisen erhobene Forderung, nur der, der bestimmte körperliche Merkmale erfülle oder eine bestimmte Biografie im Gepäck habe, die er seinem Protagonisten in einer Geschichte zuschreibe, dürfe sich auch dazu äußern. Auf die Geschichte »Der Schatten« der 21-jährigen Bad Nauheimer Studentin Seba Habibyar bezogen, bedeutete dies: Nur wer übergewichtig ist, sich ritzt und unter schwierigen Verhältnissen aufwächst, hat das legitime Recht, dazu einen Text zu verfassen.
Seba Habibyar jedoch hat mit ihrer Geschichte, beim 19. Jugend-Literaturpreis der OVAG von der Jury prämiert, im besten Sinne das bewiesen, zu was gute Literatur in der Lage ist: Mit Empathie, Einfühlungsvermögen und schreiberischem Geschick sich in andere Menschen hineinzuversetzen, in deren Welt hineinzuschlüpfen und sie zum Leben erwecken - unabhängig von eigenem Alter, Geschlecht, eigener Religion, sexueller Präferenz, familiärer Biografie und Erfahrungshorizont. So hat sich die vierfache Gewinnerin des OVAG-Jugend-Literaturwettbewerbs sensibel, diskret ohne voyeuristischen Blick der scheinbar ausweglosen Situation einer Jugendlichen angenähert, die auf einem Brückengeländer stehend endet. Gemeinsam mit zwei weiteren Preisträgern präsentierte sie ihren ausgezeichneten Text nun im Landgraf-Ludwigs-Gymnasium.
Bereits zum dritten Mal unter den Preisträgern war Lilli Weiskopf (22 Jahre) aus Gießen, hochgelobt für ihre Geschichte »Liebe ist dein zweiter Name // sommerblau«, in der sie eine junge Frau beschreibt, die den Tod ihres Freundes verarbeitet, verarbeiten muss. Trotz der Schwere des Themas behandelt Lilli Weiskopf es nahezu poetisch, unaufgeregt, ohne jeglichen Voyeurismus. Zurück von der Beerdigung kehrt sie zurück in die ehemals gemeinsame Wohnung. »Dann ziehe ich deinen Wollpullover an, lege mich auf die kühlen Fliesen im Badezimmer und hoffe, dass die Flut mich einfach mitnimmt.«
Monster oder Onkel?
Das Landgraf-Ludwigs-Gymnasium besucht derzeit Quentin Rathe (16 Jahre) aus Linden, der mit seinem Text »Onkel Gustav« erfolgreich war. Was eher harmlos klingt, aber eine tiefgehende Geschichte ist, die sich im Dialog zwischen Marie und Finn abbildet. »Er ist und bleibt mein Onkel«, sagt er. »Er ist und bleibt ein Monster«, entgegnet Marie. Was ist geschehen? Das setzt sich in der geschickt gebauten Geschichte dem Leser selbst zusammen. Nur der Schluss ist eindeutig: »Der Mond schien durch ein Loch im Blätterdach auf eine kleine, natürliche Senke, in der Onkel Gustavs massiger, aber lebloser Körper lag.«
Das Buch »Gesammelte Werke« mit Texten aller Preisträger kostet 12 Euro und kann bestellt werden (