Leon Klappach: Morning Sun

Nachdem sie aufgestanden war, machte sie sofort ihr Bett. Sie setzte sich wieder darauf. Ihre ganze Wohnung roch immer noch nach einer Mischung aus Tapetenkleber und Pappe von den Umzugskartons. Sie genoss ihr neu gewonnenes Privileg, die Morgensonne in ihrem Schlafzimmer. Obwohl der Makler es ihr als Arbeitszimmer vorstellte, hatte sie ihr Bett in das Zimmer gestellt. Dies bereute sie keineswegs, im Gegenteil: Sie blieb fast jeden Morgen bis fast 9 Uhr in ihrem Bett. Um die Morgensonne zu genießen. Draußen war es kalt, zumindest sah es so aus.

{gallery}2013/OVAG,single=Edward_Hopper_02.jpg,salign=right,width=300{/gallery}Spätestens wenn unter ihr, der Tabakwarenladen öffnen würde, wüsste sie, dass sie los müsse. Sie war müde, obwohl sie der neue Wohnort mindestens eine Stunde länger schlafen ließ. Gestern Abend hatte sie wieder lange auf ihn gewartet. Normalerweise kam er um 22 Uhr zurück und musste um sieben wieder auf die Arbeit. Sie verbrachten nur die Wochenende gemeinsam. Da war es! Das Geräusch des herauffahrenden Ladengitters.

Sie hatte wieder den ganzen Abend gewartet, erinnerte sich kaum an die letzten Tage. Nur den Umzugsstress hatte sie im Kopf. Plötzlich legten sich ihre Gedanken wie dunkle Schatten über die Morgensonne. Sie musste nicht mehr warten.

Justin Döpp: Sunlight on Brownestones

Sie standen am Meer. Die Sonne schien. Doch sie spendete ihnen keinen Trost. Sie sprachen nicht miteinander, aber beide fühlten dasselbe. Dasselbe erdrückende Gefühl der Verzweiflung. Sie waren hier auf ihrer Hochzeitsfeier. Auf der Hochzeitsfeier, die sie nie hatten haben wollen. Doch ihre Familien wollten es. Seine brauchte das Geld, ihre das Ansehen. Also hatten sie geheiratet. Beide mit demselben Pflichtbewusstsein gegenüber ihren Familien. Und sie hassten sich. Sich, ihre Familien, das Haus, die Sonne, das Meer. {gallery}2013/OVAG,single=Edward_Hopper_05.jpg,salign=right,width=300{/gallery}Sie hasste seine arrogante, überhebliche Art und seinen widerwärtigen Gestank nach Rauch. Er hasste ihr verbissenes, verlogenes Benehmen und ihr falsches Lachen, welches sie bei jeder Gelegenheit aufsetzte. Auch auf der Hochzeit hatte sie gelächelt, auch bei den Glückwünschen der Gäste. Und er hatte ständig seine Zigarette im Mund, seit sie ihn kannte, selbst hier. Doch in diesem Moment, als die Sonne sich am Horizont im Wasser brach, waren sie sich einig, als Leidgenossen. Nun war ihnen klar, dass sie den Rest ihres Lebens miteinander verbringen mussten. Jeder wollte es so; die Interessen der beiden waren nicht von Bedeutung. ,,Das Essen ist fertig, wir warten alle auf das Brautpaar!", rief ein Verwandter. Ohne sich anzusehen gingen sie zurück ins Haus. Dieses Mal jedoch lächelte sie nicht; dieses Mal ließ er die Zigarette fallen. Schweigend gingen sie hinein, Hand in Hand, wie es erwartet wurde. Die Glut der Zigarette verlosch im Sand. Die Sonne war untergegangen.

Daniel Erb: Cape Cod Evening

Der Rasen müsste wieder gemäht werden,“ sagte Hilde. Es war ein sonniger und schwüler Abend. Sie saß da mit ihrem Mann. Sie betrachteten den Hund.

 „Ist er nicht wundervoll?“, fragte er. „Die Fenster müssten auch wieder gestrichen werden“, erwiderte sie. „Sieh nur, wie er mit seinem Ball spielt“, meinte er.

Die Hitze ließ die Luft stehen. Kein Grashalm bewegte sich. „Wenn es nicht bald regnet, müsstest du mal wieder die Blumen gießen“, bemerkte Hilde. „Pass auf, ich werfe ihm einen Stock zu“, antwortete er. „Die Kirschen sind auch schon überreif. Wann willst du die pflücken?“, fragte Hilde. „Er hört auch schon auf Kommandos“, erklärte er.{gallery}2013/OVAG,single=Edward_Hopper_00.jpg,salign=right,width=300{/gallery}

Der Hund stellte sich auf die Hinterpfoten. Er applaudierte begeistert, sie blieb unverändert steif mit verschränkten Armen stehen. „Es ist schon spät“, sagte Hilde „ich werde das Abendessen machen. Du musst aber noch mal einkaufen gehen.“ Er erhob sich langsam. „Nimm doch noch den Hund mit. Zuhause stört er mich nur“, fügte sie hinzu. „Und bleib ja nicht zu lange weg“, mahnte sie.

Er nahm sich seine Jacke. „Ich fahre mit dem Auto. Dann bin ich schneller“, bekam aber keine Antwort, keinen Abschiedsgruß – seit Jahren. So stapfte er durch den Garten auf die Straße zu. Der Hund folgte ihm, knickte ein paar Grashalme um. Langsam stieg er in das Fahrzeug ein. Zum Glück hatte sie die Koffer nicht bemerkt.

Mareike Rohrbach: Cape Cod Morning

Maria lief durch das Wohnzimmer. In der Hand hielt sie ein Staubtuch, welches sie hier und da über die Möbelstücke gleiten ließ. Ihr Blick, von dunklen Ringen darunter geprägt, wanderte durch den Raum, blieb am Fenster hängen. Sie ließ das Staubtuch sinken, trat an das Fenster heran. Die warme Abendsonne schien durch die staubigen Scheiben. Gedankenverloren starrte Maria hinaus. Die grünen Bäume, die bunten Blumen am Waldrand, der See in der Ferne - Der See mit dem kleinen, verlassenen Haus. Sehnsüchtig  legte sie eine Hand auf das Glas. Über ihre vernarbte Wange kullerte eine Träne. {gallery}2013/OVAG,single=Edward_Hopper_03.jpg,salign=left,width=300{/gallery}
„Was machst du denn da?“, rief eine verärgerte Männerstimme plötzlich. Ein großer, bulliger Mann trat in den Türrahmen. Er stemmte seine Hände in die Hüften und zog die buschigen Augenbrauen zusammen. Erschrocken wischte sich Maria schnell die Träne weg und antwortete mit zittriger Stimme: „Ich putze nur die Fenster… nur die Fenster. Sie sind ganz schmutzig.“ Mit schnellen Handbewegungen ließ sie das Tuch über die Scheibe kreisen. „Komm her, du Lügnerin!“, befahl der Mann. Vorsichtig drehte sich Maria um. „Du sollst mich nicht anlügen. Nutzloses Weib…“ Während er sprach, kam er ihr immer näher. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Er stand nun vor ihr. Er hob seinen Arm. Er holte aus.

Benedikt Schätz: Nighthawsk

Da saß er. Man sah es ihm an. Er hatte die letzten Tage nicht geschlafen. Schließlich war er auch lange auf der Flucht gewesen. Nicht nur vor seinen menschlichen Verfolgern, auch vor seinen geistigen. Schwergefallen war es ihm schon immer, Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen. Doch diesmal war es anders. Im Phillies, einer kleinen Eckbar, war es ruhig. Man hörte nur einen weiteren Mann mit einer Frau im roten Abendkleid reden, ein paar Stühle neben ihm.

{gallery}2013/OVAG,single=Edward_Hopper_01.jpg,salign=right,width=300{/gallery} Auch der Barkeeper gab keinen Laut von sich, still ging er seiner Arbeit nach. Marty hatte seinen Hut tief ins Gesicht gezogen. Ein Blick nach hinten, nach links, nach rechts, durch die deckenhohen Schaufenster rund um die Bar, alle war menschenleer. Das Licht des Inneren erhellte die Gehsteige ringsum. Die Häuser lagen dunkel und abweisend. Die leeren Barhocker ließen Marty sich noch einsamer und verlorener fühlen. Auch der Whisky half nicht wirklich.

Nach zwei weiteren Schlucken blieb sein Blick an der weißen Dienstkleidung des Barkeepers hängen, welche ihn jäh an die weiß bestickte Schürze seiner Mutter erinnerte. Anfang der 20er, als er noch ein kleiner Junge war, trug sie sie immer beim Apfelpflücken. Sie wollte nie, dass er in dieses Geschäft einstieg. Er sollte ein guter Junge sein.

Nicht einmal die Verantwortung für seinen eigenen Sohn hatte er tragen wollen. Immer hatten die Geschäfte ihn mehr gereizt als alles andere. Ruhelos war er seinen Interessen gefolgt, ließ sich davon treiben. Bis immer häufiger auch die Dämonen ihn trieben.

Nichts war ihm geblieben, nur dieser eine Freund. Ihn schauderte es beim Gedanken an dessen Tod. Den er verschuldet hatte. Mit der gleichen Verantwortungslosigkeit, mit Fahrlässigkeit, Geldgier und Vergnügungssucht. Hätte er sich auf all diese Geschäfte nicht eingelassen.

Das Lachen der Frau im roten Abendkleid riss ihn unsanft in die Realität zurück. Bald würden sie kommen. Diesmal würden seine Verfolger ihn erwischen, nicht nur die geistigen. Es sei denn, er käme ihnen zuvor.

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